Jesus: Größer als das Gesetz

David Wilkerson

Das einleitende Kapitel des Hebräerbriefs wiederholt eine Wahrheit, die jeder Christ kennt, aber die nur wenige von uns wirklich erfassen: „Jesus ist größer.“ Der Verfasser ist so auf dieses Thema fokussiert, dass er sich nicht die Zeit für einen Gruß nimmt. Er gibt seinen Lesern keine Anweisungen, wie es in einigen Briefen der Fall ist. Stattdessen hat er nur eines im Sinn: „Jesus ist größer!“ Er ist von Jesus hingerissen, begeistert und überwältigt.

„Jesus ist größer als was?” fragen Sie vielleicht. Das erste Kapitel des Hebräerbriefs antwortet: Er ist größer als alle Propheten, Priester, Könige und Engel. Was immer Sie auch nennen mögen: Er ist größer. Das ist nicht neu für uns, die wir Christus als lebendigen Heiland kennen, der bei der Erschaffung der Welt gegenwärtig war und in Ewigkeit als König regiert. Er ist größer als alles, was wir uns vorstellen können.

Dennoch stolpern viele Christen über eine einfache Wahrheit, wenn es darum geht, zu wissen: „Jesus ist größer.“ Das Problem ist: Jesus ist größer als die Werke des Gesetzes – aber wir leben, als hätten unsere Werke größere Bedeutung als die rettende Gnade Christi. Wir behaupten, durch seine Gnade errettet zu sein, aber wann immer wir scheitern, greifen wir wieder auf Werke zurück, um wiederhergestellt zu werden. Dies ist eine Mentalität des Alten Bundes, die in die Sklaverei führt – doch nur wenige von uns erkennen, dass wir in diese Gefangenschaft fallen.

In Hebräer 8 ist von dem „besseren Bund“ die Rede, den Gott für uns beabsichtigt hat: „Nun aber hat [Christus] einen um so erhabeneren Dienst erlangt, als er auch der Mittler eines besseren Bundes ist, der aufgrund von besseren Verheißungen festgesetzt wurde … ‚Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, da ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde‘“ (Hebräer 8,6.8).

Uns wird gesagt, dass Gottes Neuer Bund viel besser ist als alle vorherigen, die er mit dem Menschen geschlossen hatte. Bei jedem früheren Bund erfüllte der Mensch seinen Teil der Vereinbarung nicht. Das war sogar bei denen der Fall, die dem Herzen Gottes ganz nahe standen. Mose wurde zornig und zerbrach die Steintafeln, die Gott ihm gegeben hatte. David – ein Mann, der Gottes Gesetz liebte und erklärte, es schmecke wie Honig auf seinen Lippen – beging Ehebruch und ließ anschließend einen Mann ermorden, um das Ganze zu vertuschen. Diese Diener Gottes waren zwar alle Glaubensriesen, doch jeder von ihnen scheiterte kläglich.

Dann kam ein größerer Bund. Was machte ihn zu einem besseren Bund? Gott schuf ihn so, dass er nie gebrochen werden konnte. Es war nämlich ein Bund, der nicht zwischen Gott und Mensch geschlossen wurde, sondern zwischen dem Vater und dem Sohn. Deshalb war die Sicherheit garantiert, da weder der Vater noch der Sohn ihn je brechen würden. Das Erstaunlichste ist, dass der ganze Segen, der Christus für seinen Teil des Bundes zufloss, auch unser Segen sein sollte. Diesen Segen bezeichnet man als „Gnade des Bundes.”

Trotzdem wirft es einige Fragen auf, wenn man von einem „besseren Bund“ spricht: Waren die früheren Bundesschlüsse Gottes denn etwa fehlerhaft oder schlecht konstruiert? Und war es hart von Gott, uns solche Gesetze aufzuerlegen, obwohl er ja wusste, dass wir nicht in der Lage sein würden, sie zu erfüllen?

Nach dem Hebräerbrief erfüllte das Gesetz seinen Zweck vollkommen.

Gottes Gesetz bewirkte genau das, wozu es bestimmt war. Im Hebräerbrief steht: „Darum sollten wir desto mehr auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht etwa abgleiten. Denn wenn das durch Engel gesprochene Wort zuverlässig war und jede Übertretung und jeder Ungehorsam den gerechten Lohn empfing, wie wollen wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung missachten?“ (Hebräer 2,1-3).

Das Gesetz, das Gott dem Menschen gegeben hatte, „war zuverlässig“. Dennoch scheint dies widersprüchlich zu sein. Wenn es keinem Menschen möglich war, dieses Gesetz zu erfüllen, wie konnte es dann zuverlässig sein? Erstens war das Gesetz nie dazu bestimmt, das Mittel zu unserer Errettung zu sein. Es sollte dazu dienen, uns zu zeigen, dass wir Erlösung brauchen. Und diesen Zweck erfüllte das Gesetz zuverlässig. Immer wieder offenbart die Bibel, wie kläglich der Mensch darin scheiterte, Gottes Gesetz zu halten.

Beachten Sie aber auch etwas anderes in diesem Vers. Der Verfasser benutzt hier wieder das Wort „groß“, um zu beschreiben, was Jesus getan hat. Christus hat den vollkommenen Bund mit dem Vater geschlossen, einen Bund, der „eine so große Errettung“ (Vers 3) wirksam sicherstellt. Was könnte zuverlässiger sein als diese Errettung, die dazu bestimmt ist, in unserem Leben wirksam zu werden. Sie leistet tatsächlich, wozu das Gesetz selbst nicht imstande war: Sie rettet und befreit! Die Erlösung, die uns Christus schenkt, befreit uns vom Gesetz des Todes und der Sünde. Außerdem ist der Neue Bund der Gnade die Macht Gottes, die in unserem Leben wirkt. Sie befähigt uns, seine Gebote aus seiner Kraft zu befolgen, nicht aus unserer eigenen. „Wobei Gott sein Zeugnis dazu gab mit … mancherlei Kraftwirkungen und Austeilungen des Heiligen Geistes nach seinem Willen“ (Vers 4).

Warum sollte jemand ein so großes Geschenk der Erlösung vernachlässigen? Hier ist der Grund: Wir sind es gewohnt, auf Gesetze mit Werken zu reagieren. Selbst im Bereich des Glaubens neigen wir dazu, in gute Werke zurückzufallen. Vielleicht bestätigen wir vom Verstand her, dass wir aus Gnade errettet sind, aber tief im Innern glauben viele von uns immer noch, dass Werke der Weg sind, Gottes Segnungen zu erlangen.

Unser Verstand ist tatsächlich darauf konditioniert, bei jedem Scheitern wieder auf Gesetzeserfüllung zurückzugreifen. Diese Prägung haben wir als Kinder erfahren. Denn in jedem Zuhause gibt es Grundregeln: Mach dein Zimmer sauber. Räum den Esstisch ab. Zieh deine Geschwister nicht an den Haaren, nimm sie nicht in den Schwitzkasten und lass ihre geliebte Schildkröte nicht weglaufen. Dieses System sagt: „Wenn du die richtigen Dinge tust, kriegst du Taschengeld. Tust du die falschen Dinge, kriegst du Hausarrest.“ Es ist ein Bedingungsgefüge, das auf Belohnung und Bestrafung beruht, und die meisten Eltern benutzen es, um nicht den Verstand zu verlieren.

Im Familienleben mag dieses System gut funktionieren, nicht aber in unserem Leben im Reich Gottes. Doch da die meisten von uns so aufgewachsen sind, betrachten wir das Leben später weiter durch diese Brille. Wann immer wir in irgendeiner Weise scheitern, setzt der Reflex ein, wieder auf gute Werke zurückzugreifen. Und das tun wir auch in unserer Nachfolge Christi. Jedes Mal, wenn wir die Worte „abfallen“ oder „nachlassen“ lesen, denken wir: „Das könnte auf mich zutreffen. Ich könnte vom Herrn abfallen, wenn ich meine Gebetszeit nicht pflege oder die Bibel nicht lese oder den Zehnten nicht gebe. Ich könnte bequem werden und vielleicht sogar wieder in alte Gewohnheiten zurückfallen.“

Dder Verfasser des Hebräerbriefs spricht jedoch nicht von einem Nachlassen in geistlichen Praktiken. Er sagt: „Du fällst ab, wenn du es vernachlässigst, unter Gottes Bundesgnade zu leben. Du kehrst immer wieder zu einem Bund der Werke zurück und hoffst, so die Gnade zu erlangen.“ Werke können niemals zustande bringen, was nur das Kreuz bewirken konnte; sie können unserem Leben nicht das geringste Maß an Heiligkeit hinzufügen. Werke, die wirklich heilig sind, sind ein Ergebnis der Gnade Gottes. Sie sind das, was wir aus Dankbarkeit, Freude und Glauben tun, weil uns „eine so große Errettung“ geschenkt wurde!

Gerade die Dinge, die von Gott als freudiger Segen für unser Leben gedacht sind, verwandeln wir oft in pflichtgesteuerte Werke.

Denken Sie an die Vielfalt des Segens: im Gebet innig mit dem Herrn sprechen, sein wunderbares Wort lesen, freudig seine Gute Botschaft weitergeben. Das alles sind herrliche Taten, die für ein erfüllendes Leben voller Freude sorgen. Doch oft machen wir daraus leistungsorientierte Werke – anstrengende Werke, die aus Pflichtgefühl entspringen. Indem wir das tun, versäumen wir die „so große Errettung“ – eine rettende Gnade, die nicht versagt. Denn selbst wenn wir versagen, wird der Neue Bund nicht scheitern. Nach Paulus sollte diese Wahrheit uns befreien und nicht versklaven.

„So steht nun fest in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wieder in ein Joch der Knechtschaft spannen!“ (Galater 5,1). In diesem Brief fragt Paulus die Gläubigen immer wieder: „Warum wollt ihr wieder zu einem Alten Bund der Werke zurückkehren? Dieses System wird euch nur wieder von neuem versklaven. Euch wurde der Neue Bund geschenkt, der euch dazu befreit, Gott in vollkommener Freiheit zu lieben und ihm zu dienen.“

Paulus schärfte dies den Galatern ein, indem er sagte, dass das Evangelium uns durch die Gnade im Heiligen Geist dazu befähigt. Aber die Galater versuchten weiter, das Evangelium durch einen Filter der Werke zu leben. Sie waren überzeugt: „Wenn ich so handle, empfange ich einen Segen. Wenn nicht, ernte ich einen Fluch.“

Vielleicht erkennen wir diese Haltung nicht in uns selbst, aber wir neigen heute zu einer ähnlichen Verhaltensweise: „Ich tue mein Bestes, um Gottes Gebote zu befolgen. Wenn ich das tue, wird er mich sicher segnen.“ Aber Gott sagt durch den Neuen Bund etwas anderes: „Ich habe dich schon gesegnet, bevor du auch nur versuchst, meine Gebote zu befolgen. Ich weiß auch, dass du mein Wort nicht vollkommen halten kannst; deshalb werde ich dich durch meinen Geist dazu fähig machen, es zu halten. Meine Gnade wird die Kraft hinter deinen Werken sein, nicht deine eigene Kraft.“

Das ist der Kern des Evangeliums: Gott tut das alles! Wenn uns also gesagt wird, dass „wir desto mehr auf das achten [sollen], was wir gehört haben, damit wir nicht etwa abgleiten“ (Hebräer 2,1), bedeutet dies nicht, noch mehr auf das Befolgen von Regeln zu achten. Wir sollen vielmehr auf das Evangelium der Gnade achten, das uns befreit hat.

Warum sollte denn irgendein Mensch nicht auf die „so große Errettung“ durch dieses herrliche, unverdient empfangene Geschenk achten? Ich sehe zwei Gründe dafür:

1. Unglaube. Unsere sündige Natur sagt uns, dass es etwas so Herrliches wie diesen Neuen Bund nicht geben kann. Da muss etwas sein, das wir tun können, um ihn zu verdienen. Wir haben dieses Denkmuster nicht nur durch unsere Kindheit verinnerlicht, sondern auch durch unseren Eigenwillen.

2. Stolz. Stolz sagt: „Ich kann das tun. Gib mir nur noch eine weitere Chance und dann kriege ich das hin.“ Wenn diese Beschreibung auf Sie zutrifft, ist klar, dass das Gesetz sein Werk in Ihnen noch nicht vollendet hat. Es dient dazu, Sie an den Punkt zu bringen, an dem Sie sagen: „Gott muss das alles tun.“

Vielleicht fragen Sie sich: Was soll die Betonung dieser Botschaft?

Die meisten Christen haben drängende Probleme in ihrem Leben – ein Kind, das Gott den Rücken kehrt; eine Ehe voller Spannungen; ein wachsender Berg von Rechnungen ohne das Geld, sie zu begleichen. Warum sollten Sie sich darüber Sorgen machen, dass Sie in gute Werke zurückfallen könnten, wenn Sie mit solchen Problemen konfrontiert sind?

Ich glaube, nichts hat so weitreichende praktische Folgen wie das versklavende Denkmuster, das menschliche Werke über die Gnade stellt. Es wirkt sich jeden Tag aus, weil es direkten Einfluss darauf hat, wie Sie mit Ihren Problemen umgehen.

Sagen wir, ein junger Mann, der von Pornografie abhängig ist, will frei werden. Auch er neigt zu einer Mentalität der Werke. Eines Nachts liest er folgenden Vers: „Wie wird ein junger Mann seinen Weg unsträflich gehen? Indem er ihn bewahrt nach deinem Wort!“ (Psalm 119,9). Der junge Mann sagt sich, dass er Freiheit finden wird, wenn er mehr in seiner Bibel liest. Dann liest er einen Abschnitt, in dem es heißt: „Betet für einander.“ Also schließt er sich einer Jüngerschaftsgruppe für Männer an und bittet die anderen, für ihn zu beten.

In dieser ganzen Zeit ringt er weiter mit der Sünde. Mit der Zeit verabscheut er sich selbst deswegen. Er setzt die guten Praktiken fort, die er angefangen hat, aber er sagt sich: „So fühle ich mich nur noch miserabler. Wie viel mehr muss Gott mich verabscheuen?“

Alles, was er unternommen hat, sind durchaus gute Maßnahmen. Doch in seinem Herzen verlässt er sich auf diese Dinge – auf Werke –, um die Freiheit zu finden, nach der er sich sehnt. Aber seine Mentalität der Werke treibt ihn nur noch tiefer in Unfreiheit und Verzweiflung. Die Nachfolge Christi geschieht nicht durch Werke – nicht dadurch, dass ich Leistungen erbringe, um etwas zu empfangen, das Gott mir nur durch Glauben geben kann.

Sagen wir, ein anderer junger Mann in derselben Gemeinde hat ebenfalls Probleme mit Pornografie. Er betet zu Gott: „Herr, ohne dich bin ich hilflos – das weiß ich nur zu gut. Aber ich weiß auch, dass du meine Hoffnung bist. Ich komme jetzt zu dir, lasse meine Verzweiflung hinter mir und vertraue darauf, dass du ein Werk in mir tust. Ich weiß, dass ich nur eines brauche, um diese Sünde zu überwinden: deine befähigende Gnade. Lass sie mich jetzt ganz erfüllen. Sonst gibt es für mich keine Hoffnung.“

Dieser Mann wird die befähigende Gnade Gottes erfahren. Warum? Er hat jedes Hindernis niedergerissen, das ihn von der Gnade abhielt – und das nur durch ein einfaches Gebet.

Diese zwei Beispiele sehen von außen betrachtet nicht sehr verschieden aus. Aber in geistlicher Hinsicht hat eine enorme Umwälzung stattgefunden. Ein Herz hat sich von dem alten, versklavenden Bund entfernt, der sagt: „Ich muss es mir verdienen“, und hat sich einem Bund zugewandt, der sagt: „Aus deiner Gnade entspringen alle meine Bemühungen.“

Wenn wir an diesen Punkt gekommen sind, werden wir erleben, wie Gott in unserem Leben Dinge tut, die wir aus eigener Kraft nie hätten erreichen können. Wenden Sie sich Jesus zu, der in allem größer ist – und dessen Gnade Ihre Stärke für jede Situation ist. Amen!