Gnade Regiert

Gary Wilkerson

Ich bin überzeugt, dass es überall in der Welt einen Hunger nach der ungetrübten Gnade Christi gibt. Auch die Bibel spricht von diesem Hunger. Lukas schreibt, dass Menschen zu Tausenden kamen, als Jesus die Bergpredigt hielt, „um ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden; auch die von unreinen Geistern Geplagten wurden geheilt“ (Lukas 6,18). Diese Massen kamen, weil die Nachricht von einem Mann der Gnade die Runde machte, der sie heilen würde.

„Und … eine grosse Menschenmenge aus ganz Judäa und Jerusalem und aus dem Küstenland von Tyrus und Sidon war da“ (Vers 17). Diese vielen belasteten Menschen legten solche langen Wege nicht zurück, um einen Prediger zu hören, der sie drängte, sich noch mehr anzustrengen. Sie waren durch Entmutigung, Krankheit und das verzweifelte Bemühen, ein gottesfürchtiges Leben zu führen, ohnehin schon erschöpft. Es war auch nicht einfach eine Ansammlung „guter“ Menschen. Viele standen vermutlich am Rand der Gesellschaft, ausgegrenzt durch ihren heruntergekommenen Zustand. Was immer auch ihr Problem war: Die Erfüllung des Gesetzes hatte ihnen kein Leben gebracht.

Für diese nach Gnade hungernden Besucher stellte sich heraus, dass die Berichte über die Gnade Jesu der Wahrheit entsprachen. Er predigte die Gnade nicht nur, sondern stellte sie unter Beweis, indem er alle heilte: „Und alles Volk wollte ihn berühren, denn eine Kraft ging von ihm aus, die alle heilte“ (Vers 19). Stellen Sie sich vor: Von diesen tausenden Menschen kehrte niemand nach Hause zurück, ohne geheilt worden zu sein! Keine einzige Krankheit war geblieben. Kein zerbrochenes Leben blieb unberührt. Es ist kaum zu fassen, dass die mächtige Gnade Jesu Christi jede einzelne Seele erreichte.

Viele von uns übersehen die heilende Gnade Christi bei der Bergpredigt und betonen nur seine Seligpreisungen.

Nach dem Bericht von Lukas ging Jesus von diesen Heilungen direkt zu den Seligpreisungen über: „Und er richtete die Augen auf seine Jünger und sprach: Selig ihr Armen – euch gehört das Reich Gottes.

Selig, die ihr jetzt hungert – ihr werdet gesättigt werden. Selig, die ihr jetzt weint – ihr werdet lachen“ (Verse 20-21). In anderen Evangelienberichten werden weitere Seligpreisungen genannt: für die Demütigen (sie werden das Land erben), für alle, die reinen Herzens sind (sie werden Gott schauen) und für die Barmherzigen (sie werden Barmherzigkeit erlangen).

Als Kind beurteilte ich mein Leben mit Christus danach, wie gut ich Demut, Reinheit und Barmherzigkeit übte. Wenn ich merkte, dass ich aggressiv war, dachte ich: „Ich muss demütiger und sanfter werden.“ Oder wenn mir sexuelle Gedanken durch den Kopf gingen, fragte ich mich: „Wie soll ich es je schaffen, mir ein reines Herz zu bewahren?“ Wie so viele andere Christen vor mir machte ich Gottes Gnadenzusagen in den Seligpreisungen zu Gesetzen, die ich zu erfüllen versuchte. Wenn ich die Seligpreisungen gut genug praktizierte, dann würde Gott sagen: „Selig bist du, Gary…“

Nein! Das stellt die Dinge auf den Kopf – es widerspricht dem Evangelium Christi! Als Jesus auf diese Masse von Menschen blickte, sah er, dass sie arm im Geist, demütig, von Krankheit geplagt und durch ihr Ringen, ein gutes Leben zu führen, erschöpft waren. Was tat er also? Er sprach ihnen Segen zu! So wie der Herr in eine Leere völliger Finsternis die Schöpfung ins Leben sprach, so sprach Jesus den von Sünde gezeichneten und am Leben verzweifelnden Menschen göttlichen Segen zu. Er versicherte ihnen: „Ihr seid traurig hergekommen, aber ich sage euch, dass ihr in Gottes Augen selig seid – gesegnet in eurer Ehe, gesegnet in eurer Arbeit, gesegnet in der Tiefe eurer Seele.“

Das war in ihren Ohren eine radikale Botschaft. Diese Menschen kannten nur die Bedingungen des Alten Bundes. Sie dachten, dass sie es verdienten, zu hören: „Du bist verflucht! Du hast das Gesetz nicht gehalten, wie es im Buch Deuteronomium steht; sonst wäre dein Leben gesegnet. Aber weil du das Gesetz gebrochen hast, hast du dir selbst einen Fluch eingehandelt.“ Jesus sagte ihnen das Gegenteil: „Bevor du irgendetwas für mich tust – bevor du gebetet, mich angebetet oder deine Sünden bekannt hast, habe ich dich schon gesegnet!“

Obwohl die Botschaft der Gnade Jesu klar ist, beharren viele von uns darauf, nach gesetzlichen Maßstäben zu leben.

Viele Christen betrachten heute ihr Leben als eine Art Waagschale der Gerechtigkeit. In der einen Waagschale sammeln sich ihre Gott wohlgefälligen Taten, während sich in der anderen Waagschale ihre Sünden und Niederlagen anhäufen. Wenn sie das Gefühl haben, dass ihr Leben zu sehr in die negative Richtung ausschlägt, fühlen sie sich gezwungen, mehr zu beten, mehr in der Bibel zu lesen und mehr in die Gemeinde zu gehen. Doch keine noch so große Menge weiterer guter Werke kann ihre selbstgemachte Waage der Gerechtigkeit ausgleichen.

Kürzlich sah ich einen Video-Clip, der eine Szene beim Drive-In einer Fast-Food-Kette zeigte. Als der Autofahrer seine Bestellung aufgegeben hatte, fragte der Mitarbeiter am anderen Ende: „Und weiter?“ Der Fahrer fühlte sich verpflichtet und bestellte noch Pommes frites. Wieder meldete sich die Stimme: „Und weiter?“ Irritiert fügte der Fahrer noch ein Dessert hinzu. Wieder fragte die Stimme: „Und weiter?“ So ging es weiter, bis der Fahrer schließlich rief: „Nein, nein, nein! Schluss mit dem ‚Weiter‘!“

Das ist ein Bild für uns, wenn wir versuchen, Gottes Gerechtigkeit selbst zu erlangen. Je mehr wir es aus eigener Anstrengung versuchen, desto näher kommen wir dem Moment, in dem wir endlich gezwungen sind, zu rufen: „Schluss mit dem ‚Weiter‘!“ Es erklärt, warum schon der bloße Gedanke, Gott zu dienen, so viele Christen erschöpft. Paulus bezeichnet ihre eigenen Anstrengungen aus einem guten Grund als „tote Werke“: Ihre Vorgehensweise wird nie zu Gerechtigkeit oder Freude führen, sondern nur zu Erschöpfung und Elend. Es steckt kein Leben darin, sondern nur Tod – denn es ist nicht das Evangelium Jesu Christi.

Paulus sagt: „Die Sünde Adams brachte Verdammnis über alle Menschen“ (Römer 5,17; NL). Wenn der Tod Ihr Leben beherrscht – wenn das Gewicht ständiger Anklagen der Sünde auf Ihnen lasten, wenn nichts, was Sie tun, je gut genug ist – dann hören Sie auf die alte Stimme der adamitischen Natur. Aus dieser alten Natur entspringt jeder eigene Versuch, Gott zu beschwichtigen, was aber Ihrer Identität in Christus widerspricht.

Paulus fügt dann dies hinzu: „Aber die Tat von Christus, sein erlösendes Handeln, macht alle Menschen in Gottes Augen gerecht und schenkt ihnen Leben“ (Vers 17; NL). Wie erlangen wir diese Gerechtigkeit? Paulus sagt uns in demselben Vers, dass wir „durch den Einen, Jesus Christus“ zur Herrschaft über die Sünde gelangen, indem wir seine Gnade annehmen. Wir sind dazu bestimmt, über jede Sünde zu triumphieren – nicht durch unsere eigenen Anstrengungen, sondern durch den Einen – Jesus Christus. Und nun fordert Christus uns auf: „Warum legst du nicht deine selbstgemachten Waagschalen am Fuß des Kreuzes nieder? Ich habe dich nie aufgerufen, mich gnädig zu stimmen. Ich habe dich aufgerufen, eines zu tun: den Segen meiner Gnade zu empfangen.“

Durch sein großes Geschenk lässt Christus in unserem Leben die Gnade anstelle unserer sündigen Natur herrschen.

Viele Christen werden es nicht zugeben, aber sie halten weiter an ihrer Waage fest. Warum? Tief im Innern glauben sie, dass Gottes Gnade zu schön ist, um wahr zu sein. Sie denken, dass die Gnade ihnen zu viel Freiheit erkauft – sodass sie in ihrem gottesfürchtigen Dienst nachlassen und anfangen, zu sündigen. Sie halten an ihrer Gerechtigkeit der guten Werke fest, weil sie überzeugt sind, dass es das Einzige ist, was sie auf dem Pfad der Gerechtigkeit halten wird.

Paulus sieht diese Denkweise voraus, die in toten Werken endet. Er entgegnet: „Was heißt das nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz stehen, sondern unter der Gnade? Gewiss nicht! Wisst ihr nicht: Wem ihr euch als Sklaven zur Verfügung stellt und zum Gehorsam verpflichtet, dessen Sklaven seid ihr und dem gehorcht ihr, entweder der Sünde, die zum Tod führt, oder dem Gehorsam, der zur Gerechtigkeit führt. Dank aber sei Gott! Ihr wart Sklaven der Sünde, seid aber von ganzem Herzen gehorsam geworden der Gestalt der Lehre, der ihr übergeben wurdet“ (Römer 6,15-17).

Welche Lehre meint Paulus hier? Es ist die Lehre, dass wir nun der Gnade Jesu Christi gehören! Deshalb sündigen wir nicht länger wie zuvor, weil das nicht länger unsere Identität ist: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist das neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden“ (2. Korinther 5,17). Zum Schluss sagt Paulus: „So steht es auch mit euch, meine Brüder und Schwestern: Auch ihr seid für das Gesetz zu Tode gekommen durch den Leib des Christus, und so gehört ihr jetzt einem andern, dem, der von den Toten auferweckt worden ist, damit wir Frucht bringen für Gott“ (Römer 7,4).

Das neue Leben, das uns geschenkt wurde – das Leben Christi selbst – erweckt uns dazu, ihm in Freiheit, Frieden und Freude zu dienen. Befreit vom Zwang der Ketten ermüdender Werke können wir nun mit David ausrufen: „Herr, meine Freude ist, deinen Willen zu tun!“ Und wir können gar nicht anders, als Jesus einer Welt zu bezeugen, die verzweifelt nach seiner Gnade hungert. Kurz: Gnade bringt Frucht!

Freunde, man kann dem, was tot ist, kein Leben abringen. Nur Jesus hat die Macht, unseren alten, toten Menschen zu einem neuen Leben aufzuerwecken. Eine solche Gnade ist unfassbar; sie übersteigt unsere Vorstellungen so sehr, dass wir sie in diesem Leben nie völlig begreifen werden. Genauso wenig werden wir je in der Lage sein, sie aus eigener Kraft zu erlangen. Paulus schreibt: „Jetzt sehen wir alles in einem Spiegel, in rätselhafter Gestalt, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich ganz erkennen, wie ich auch ganz erkannt worden bin“ (1. Korinther 13,12).

Beachten Sie diesen letzten Satz: Sie sind jetzt ganz vom Herrn erkannt – selbst in Ihrem kaputten Leben voller Trauer und Zerbrochenheit – und er sagt, dass Sie gesegnet sind. Sehen Sie, das neue Leben kommt nicht, indem Sie es erringen, sondern, indem Sie es empfangen. Werden Sie also Ihre Waagschalen niederlegen und in dem neuen Leben wandeln, mit dem Jesus Sie aus Gnade beschenkt hat? Sie haben ihm nichts zu bringen, denn er hat schon seinen Segen über Ihnen ausgesprochen. Empfangen Sie ihn – und treten Sie in jedes gute Werk ein, das er schon aus Gnade für Sie vorbereitet hat!